schnee

weiß
vor den augen
keinen tonfall
hörn und sehn
vergehn unsicht
bare zeichen
alle zeilen
leer

einnachten

schatten fallen
auf kaltes land
letzte helle liegt
auf bergen noch
leichter als atem
luft schmilzt licht
auf fernem schnee

In memoriam Jürg Amann

Laudatio von Fred Kurer,
Anerkennungspreis der Heinz-Weder-Stiftung 2013

Landschaft, ein Stück Natur, ein Ausschnitt heilen Lebens ersteht vor meinem inneren Auge:
ein Bild, das beschwört, das ergreift, das ich – ja doch: liebe, weil – weil, wer weiss, ich es immer wieder heimlich herbeigewünscht, herbeigesehnt habe in meine meist alles andere als heile Welt.

Drei von Hugo Ramneks Gedichten, die er für den Heinz Weder-Preis einreichte, sind, so gesehen, Idyllen, so das mit dem Titel „einnachten“: Schatten fallen über eine abendliche Gebirgslandlandschaft, letzte Tageshelle liegt verlöschend auf Bergen und Schnee.

In mir, vor mir ersteht für den Moment ein Segantini-Bild: „Abend in Sils“.

Ist es aber nicht, kann es nicht sein. Die Erkenntnis stellt schnell sich ein: Das Bild ist ja kein gemaltes: es ist ein literarisches, ein mittels Silben, Wörtern, Sprache gestaltetes Etwas, ein Erfassbares nicht aus Neben- und Ineinander von Farben, vielmehr aus bewusst gesetztem Nacheinander von Wort, Sinn, Klang.

In die Ecke also mit der gemalten Idylle. Ins Museum. Wenden wir uns stattdessen dem Gedicht zu.

„Höre darauf, wie es klingt“, rät Ezra Pound, „und erfahre so, was der Dichter dir sagen will“. Und so entsteht in Ramneks siebenzeiligem Gebilde Wort um Wort eine über den banalen Bildrahmen hinausreichende Welt im Kleinen, die mich berührt, unmittelbar berührt.

schatten fallen sacht
auf kaltes land
letzte helle liegt
auf bergen noch
leichter als atem
luft schmilzt licht
auf fernem schnee

Die Schatten (hören Sie’s?) sind nicht, sie fallen, und zwar sacht aufs Land, und nicht einfach aufs Land: aufs kalte Land, und die Helle offenbart sich nicht als Helle, sie senkt sich quasi, leichter als (menschlicher) Atem, auf den Schnee, und die Luft steht nicht: sie schmilzt

(kann man’s feiner noch sagen?) – Luft schmilzt – schmilzt wie Licht, als Licht, als letztes Licht, gleichsam, auf Schnee, und zwar auf einen fernen Schnee, einen Schnee, der schon fast überirdisch, jenseitig wirkt.

Will Rilke sich melden, Eduard Mörike, ein früherer Atmosphäriker à la Salomon Gessner? Im nächsten Kurzgedicht, überschrieben mit schnee, evoziert das Wort „Schnee“ das, was sich uns als Normalmenschen stellt. Aber dann geschieht dichterisch Wunderbares:

weiss
vor den augen
keinen tonfall
hörn und sehn
vergehn unsicht
bare zeilen
leer

Hören und Sehen vergehn, „vor den augen keinen tonfall“, das Weiss erscheint mehrfach sinnlich gemischt in unendlicher Ruhe; alles Zeichenhafte, selbst die Schrift, entwindet sich ihm: eine weisse Stille entsteht, eine Welt ohne Konturen, eine mit Leere gefüllte Stille. Blattstille.

Das Wenige, was ich von Ramnek bis jetzt lesen durfte, überzeugt mich durch das Atmosphärische, das Idyllische eben. Das Idyll freilich – wir leben ja heute! – , will aufgebrochen, gesprengt werden. Ich sehe den Autor auf dem Balkon der lauschigen Villa Patumbah in Zürich, wie er den Sperling, der sich verirrt, der sich tödlich verletzt hat, aufhebt und zurückwirft in den Park. Ist sie liebend, ist sie zynisch seine Geste, die diesem hilflosen Vogel verhilft zum „letzten Flug“, „Fall in das ersehnte Land“?

hergeflogen aus dem park
liegt er auf meinem balkon
übers geländer werf ich ihn
mit leichtem schwung zurück
sein letzter flug ein fall
in das ersehnte land

In nur sechs Gedichten bestreicht bis umfasst Ramnek verschiedene Lebensbereiche.

„Himmel und Hölle“, ein 22-Zeiler, wo sich das Kinderspiel zum Gleichnis findet – Jung und Alt vereinen sich – „ihre Wärme und seine Wärme/ist alle Wärme dieser Welt“ geht direkt an mein Herz – wenn das so zu sagen noch erlaubt ist – ; die „Bluttransfusion“, der letzte Beitrag dagegen lässt mich kalt, weil zu gesucht; allerdings erkenne und anerkenne ich auch hier den meisterhaften Umgang des Dichters mit Sprache.

Die Jury der Weder-Stiftung freut sich, mit Herrn Hugo Ramnek einen vielseitig begabten Lyriker mit einem Anerkennungspreis auszeichnen zu dürfen.

Diese seine Auszeichnung ist – und das verleiht ihr zusätzliches Gewicht – nicht seine erste:

der 1960 in Klagenfurt geborene Dichter gewann bereits 2009 einen Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes, 2010 die Anerkennungsgabe der Stadt Zürich, und 2012 wurde er mit dem dritten Preis beim ERSTEN ZÜRCHER Lyrikpreis ausgezeichnet.

Hugo Ramnek: Herzliche Gratulation!

Mehr Gedichte:

www.wederstiftung.ch/pdf/Hugo-Ramnek_Lesung-Beitrag10360.pdf