Hrsg. Susanne Gretter

Geschichten vom Weihnachtsessen

Mit einer Geschichte von Hugo Ramnek.


Deutsch
insel taschenbuch 4477, Broschur, 231 Seiten
EUR 8.30  / CHF 11.90
ISBN 978-3-458-36177-0
Auch als e-book erhältlich

Jetzt beim Verlag bestellen

Was passiert, wenn der Laden auf der kleinen Ostseeinsel vor dem Fest keine TK-Gans mehr im Angebot hat? Man schießt sich selber eine. Ob der Braten geschmeckt hat, wird der geneigte Leser nicht mehr erfahren, denn ihn hat schon die nächste Protagonistin im Schlepptau, die mit einem Fresskorb zum Flüchtlingslager unterwegs ist, denn Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe – derweil andernorts der Großvater einsehen muss, dass er des Weihnachtsbratens ohne elektrisches Messer nicht Herr wird, und das vor den Enkeln, am Heiligen Abend! Dass so ein Festessen wegen Familienturbulenzen auch einmal ganz entfallen kann – davon erzählen Hugo Ramnek, Stefan Moster, Tanja Dückers, Daniel Schreiber, Robert Stadlober, Edgar Rai, David Wagner, Antonia Baum, Olga Martinova und viele andere.
Es ist angerichtet, überraschende Geschichten – und so manches Rezept für einen kulinarischen und sorgfältig inszenierten Anlass: das Weihnachtsessen.

Pressestimmen

Die Geschichten widmen sich auf leichte Weise dem schwierigen Thema Weihnachtsessen — Börsenblatt

Leseprobe

Weiße Weihnacht
Weihnachtsgeschichte von Hugo Ramnek

Ich lag in der Badewanne.

Es war der 24. Dezember, und ich war in der Badewanne.

Ich plantschte, ich pritschelte im Wasser, schwimmen jedenfalls konnte man das nicht nennen. Ich drehte mich im Kreis oder eher im Quadrat. Zwei Flossenschläge vorwärts, umdrehen, zwei rückwärts, umdrehen. Das war’s.

Vor mir, hinter mir, unter mir, über mir: weiß. Die Steilufer weiß, der Wannenboden weiß, die Kacheln, die Badezimmerwände, die Decke, alles weiß. Die Augen offen nach Fisches Art – und um mich nichts als die fahle Unfarbe. Und das Wasser ungetrübt. Und nichts zu essen.

Aus der Luft holen konnte ich nichts und nichts von der Oberfläche. Abtauchen konnte ich nur in eine Untiefe, die nichts barg, nicht einmal ein winziges Müschelchen. Kein Tauwürmchen, keinen Wasserfloh, kein einziges Zuckmückchen, nicht eines. Und von Plankton keine Spur.

Vier Fastentage hatte ich hier schon verbracht. Mit einer Ausnahme: Am zweiten Tag gab es zum Frühstück einen Weberknecht, der am Wannenrand ausgerutscht ist. Lange Beinchen, kaum Fleisch, ein Gaumenkitzel, nicht mehr. Bei solcher Schmalkost kann man von Fastenbrechen nicht sprechen.

Dabei war das Erste, was ich hörte, nachdem ich in diesen Wasserkerker geworfen worden war: Fett ist der! Das größte Kompliment für unsereinen. Warum ließen sie mich dann darben? Sie – das sind sechs, wie ich mit der Zeit herausgefunden habe: Eltern, drei Kinder, plus Großvater. Von ihm habe ich das vermaledeite Wort zuerst gehört: Da ist er ja, der Weihnachtskarpfen. Ein Wort wie ein Fischmesser, der Stich in ein Herz, das eh schon in die Schwimmblase gerutscht ist.

Deutsch
insel taschenbuch 4477, Broschur, 231 Seiten
EUR 8.30  / CHF 11.90
ISBN 978-3-458-36177-0
Auch als e-book erhältlich

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